Das Geheimnis der Neubaugasse

Titel:  “Das Geheimnis der Neubaugasse”
Verfasserinnen: Sophie Marte & Anna Marie Sternik
Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien
Lehrveranstaltung: Übung Multimedia SS 2022
Veranstaltungsleiter: Dr. Manfred Bobrowsky

Eine 900 Meter lange Gasse im 7. Wiener Gemeindebezirk. Sie beginnt an der Grenze zum 8. Bezirk, an der Lerchenfelder Straße, und verläuft bis hin zur größten Einkaufsstraße Wiens, der Mariahilfer Straße. Zu schmal um mit den Menschenmassen der “Mahü”, wie sie von den Wiener*innen gerne genannt wird, mithalten zu können. Doch das ist nicht der einzige Punkt in welchem sich die Neubaugasse deutlich von anderen Einkaufsstraßen abhebt. 

Warum genau diese Wiener Gasse sich so großer Beliebtheit unter Einheimischen sowie auch Tourist*innen erfreut, und was genau ihre Einzigartigkeit ausmacht, dem wird im Rahmen dieser Reportage nachgegangen.

Von der „Mahü“ in die Neubaugasse

Während einem der Trubel auf großen Einkaufsstraßen, wie der benachbarten Mariahilfer Straße, schnell zu viel werden kann, bieten ruhigere Seitengassen eine perfekte Möglichkeit, den Massen zu entkommen und auch Geschäfte zu entdecken, die nicht dem Mainstream entsprechen. Über einer dieser Gassen spannt sich ein Schild mit Schriftzug “Neubaugasse”. Der hinzugefügte Slogan “Die Straße der Spezialist:innen” klingt spannend. Oder? Eines sei bereits vorab verraten: Das ist es auch. 

Neubaugasse, ©Anna Marie Sternik

The place to be für „Zuckergoscherl“

Ein paar Meter entfernt vom großen Getümmel, an der Adresse Neubaugasse 18, befindet sich ein auffallender kleiner Laden, mit äußerst ansprechendem Schaufenster. Unter dem Namen “Bonbons” bietet Michaela Dürnberger hier etliche Leckereien zum Verkauf an und ist damit Geschäftsführerin des ältesten Wiener Zuckerlgeschäfts. Seit 1936 besteht das Geschäft “Bonbons” und überdauerte damit sogar den Zweiten Weltkrieg. Man möchte meinen Michaela Dürnberger hat Schokolade im Blut, da sie die Urenkelin des Gründers von Jonny Schokolade ist. Diese Schokoladentafeln werden auch jetzt noch eigens produziert und im “Bonbons” angeboten. Was neben dem verlockenden Geruch ebenso für einen Besuch im Zuckerlgeschäft spricht, ist die Vielfalt an Süßem, welche einen sofort in die eigene Kindheit zurückbringt. Dürnbergers Ziel ist es, mit ihrem Angebot die Erinnerungen ihrer Kund*innen aufleben zu lassen und das “Zuckergoscherl” eines Jedens geschmacklich zu verwöhnen. 
Was dieses Geschäft vom Großhandel und vor allem von Süßigkeiten aus dem Supermarkt unterscheidet, wird schon nach kurzem Stöbern im Verkaufsraum klar. Solche Besonderheiten findet man kaum irgendwo anders, und wenn, da ist sich Michaela Dürnberger sicher, nicht in dieser Qualität. Die Begegnungszone mit ihren Grünflächen, die zum Verweilen einladen, kurbeln auch das Geschäft an. Vor allem profitiere man von den Sitzmöglichkeiten und der sogenannten “Konsumfreien Zone”, in welcher viele Passant*innen das Bonbons-Geschäft überhaupt erst ins Auge sticht.

Bonbons, ©Anna Marie Sternik

Handarbeit und Nostalgie

Fast direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, findet sich ein charmantes Handarbeitsgeschäft namens “Karl Peter’s Söhne”. Während der Fokus hier auf Zubehör liegt, welches für die Handarbeit benötigt wird, seien es Wolle, Garne, Borten, Bänder, oder Kordeln, kommt hier ebenso die Nostalgie nicht zu kurz. Denn zuletzt wurde das Sortiment erweitert, nun werden auch Spieluhren angeboten. Karlheinz Peter führt die Firma in der 8. Generation, nachdem das Familienunternehmen bereits im Jahre 1732 in Wien entstand. Er verfügt nicht nur über reichliches Fachwissen, sondern ist auch ein exzellenter Berater. Mit viel Charme und Engagement findet Herr Peter auf jede Frage der Kund*innen eine Antwort und für jedes Problem eine Lösung. Karlheinz Peter ist ein sehr positiver Mensch, welcher den Großhandel nicht als Konkurrenz sondern als Partner sieht. Nach mehreren Umzügen des Familienunternehmens innerhalb Wiens, ist er mit dem Standort in der Neubaugasse äußerst zufrieden. Oft verschlägt es Leute, die auf der Mariahilfer Straße nicht fündig werden, zu ihm. Und auch er nennt die Neubaugasse die “Straße der Spezialist:innen”. Außerdem profitiere man besonders von der Begegnungszone, deren Umbau 2020 stattfand. Laut Peter hatte der beidseitige Verkehr nicht nur zu Lärm sondern auch zum Zuparken eigentlicher Geschäftsflächen geführt. Die Gasse wirkt nun durch die Bepflanzung um einiges einladender und lädt noch mehr zum Verweilen ein, entnahm er bereits Kund*innen-Gesprächen.

Karl Peter’s Söhne, ©Anna Marie Sternik

Das Wort der Stunde: Vielfalt

Doch dies sind längst nicht die einzigen Läden, welche einem bei einem Spaziergang auf der Neubaugasse ins Auge stechen. Da die Straße als Verkaufsfläche sehr geschätzt wird, bleibt kein Schaufenster leer und die Angebotsvielfalt wird stetig erweitert. Zu den beliebten Traditionsbetrieben zählt auch das Antiquitätengeschäft “Altes Mobiliar Heinzl”, welches jedes Raritäten-Herz höher schlagen lässt. Während der “Sight Store” seinen Fokus auf Konfektionsware legt und jungen Designern eine Bühne bietet, erhält man bei “Freitag” Taschen und Accessoires aus recycelten Materialien. Auch die Gaumenfreude kommt auf der Neubaugasse nicht zu kurz. Sei es ein Bier-Seminar in der “Bierothek” oder kroatische Delikatessen im “Delikroat”. Auch die besten Falafel der Stadt findet man in der Neubaugasse: nämlich im Restaurant Maschu Maschu.

Das Geheimnis ist gelüftet

Das Geheimnis der Neubaugasse sollte damit also gelüftet sein. Die Diversität der Einkaufsmöglichkeiten in der Neubaugasse ist ebenso erfrischend wie das spürbare Herzblut der Geschäftsführer*innen Michaela Dürnberger und Karlheinz Peter. Auch der Umbau zur Begegnungszone tat der Straße in den Augen von Kund*innen sowie Geschäfts-Betreiber*innen sichtlich gut, auch wenn er 2020 stark in der Kritik stand. Wer also auf der Suche nach Nischenprodukten oder Spezialist*innen ist, Wert auf ausgezeichnete Beratung legt und einfach mal dem Trubel entgehen will, der ist in der Neubaugasse auf jeden Fall gut aufgehoben.