A Day In The Life Of Sonya Havr

Ein Beitrag von Julia Perger und Chantal Peters

Die Influencerin Sonya Havr macht im Internet kein Geheimnis aus ihrer ADS-Erkrankung. Ganz im Gegenteil – durch eine offene und realitätsnahe Aufklärung hat sie einen positiven Einfluss auf ihre Community und vor allem auf neurodiverse Personen. ADS und erfolgreich? Das geht. Sonya ist als Influencerin auf TikTok, Instagram und YouTube tätig, studiert an der WU, betreibt ihr eigenes Schmuck-Business Havrpop und modelt nebenbei. Sie lässt ihre Community aber auch an den schlechten und unproduktiven Tagen teilhaben und redet offen über psychische Probleme und alltägliche Schwierigkeiten, vor allem in Bezug auf ADS.

Was ist ADS? 

ADS steht für Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom und bezeichnet eine Störung, welche die Aufmerksamkeit und Konzentration beeinträchtigt. Grund dafür ist eine Störung der Informationsverarbeitung im Gehirn. Hierbei liegt ein Mangel an den Botenstoffen Noradrenalin und Dopamin vor. Auch wenn manche Symptome von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägt sein können, zeichnet sich ADS unter anderem durch Vergesslichkeit, Langsamkeit, Tagträumen und Überempfindlichkeit der Wahrnehmung aus.

„Dass ich meine Diagnose bekommen habe, gehört zu den besten Dingen, die mir im Leben passiert sind“

Die Diagnose ADS hat Sonya vor langer Zeit bekommen und seither versucht sie ihr Leben so gut es geht daran anzupassen.

Um herauszufinden, wie der Alltag einer Influencerin mit ADS aussieht, haben wir Sonya Havr bei ihrem Alltag mit der Kamera begleitet und konnten dadurch einen Einblick hinter die Kulissen gewinnen. 

Ein Beitrag von Julia Perger & Chantal Peters – mit Sonya Havr

In einem Interview hat uns Sonya die wichtigsten Fragen rund ums Influencen und das Leben mit ADS beantwortet:

Influencen, TikTok, YouTube, Modeln, Ketten-Business – wenn du dich für nur eine Beschäftigung entscheiden könntest, der du für immer nachgehst, welche wäre es?

Sonya Havr: Ich würde sogar sagen ein Business. Aber ein anderes als das mit Ketten. Ich überlege noch und muss auf eine Idee kommen, aber ich würde auf jeden Fall gerne ein Business machen. Ich glaub aber sogar es wäre ein Business, wo ich nicht das Gesicht, sondern das Brain bin. 

Wie wichtig ist Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit und entstehen bei dir manchmal Selbstzweifel durch Hate-Kommentare?

Ich finde es sehr wichtig, dass man selbstbewusst ist. Vor allem wenn man Social Media machen will, weil du immer in irgendeiner Weise deine Meinung vertreten wirst und du musst bereit sein, dass Menschen das oft nicht verstehen werden. Viele denken auch, wenn ich etwas poste, will ich ihre Meinung hören. Das ist aber halt nicht so. Man muss also schon starke Grenzen vertreten und ziehen können, um die ungefragte Meinung anderer nicht an sich heranzulassen.

Was war nochmal das Ende der Frage?

Ob du manchmal aufgrund negativer Kommentare Selbstzweifel hast.

Die Themen, mit denen ich in letzter Zeit sehr gekämpft habe, sind durch ein Video von einem anderen Kanal entstanden, wofür ich Englisch geredet habe. Ich habe fast nur Kommentare zu meiner Aussprache bekommen, obwohl grammatikalisch alles gepasst hat. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso man sowas sagt – meine Muttersprache ist Russisch, dann kommt Deutsch und dann erst Englisch. Sogar wenn ich selbst normale Videos poste, bekomme ich Kommentare zu meiner deutschen Aussprache oder dass ich manche Worte falsch verwende. Ich muss einfach auch noch selbst daran arbeiten, dass ich sowas nicht persönlich nehme. Mein Blog ist mein Zuhause – da poste und teile ich was ich möchte und setze auch selbst die Regeln und Grenzen fest. Wenn es dann aber Leute in meinem „Zuhause“ gibt, die sich nicht wohlfühlen oder die ich nicht da haben möchte, blockiere ich die ganz einfach. So hole ich mir auch wieder die Macht zurück, die mir die Person gerade versucht zu nehmen.

(Es folgt eine von mehreren Gesangseinlagen von Sonya)

Du postest sehr regelmäßig Content und es gibt kaum Tage, an denen man nichts von dir hört oder sieht. Postest du an Tagen, an denen es dir nicht gut geht, trotzdem Content?

Ich glaube man kann nie zu 100% ehrlich auf Social Media sein. Ich zeige sicher nicht 100% von meinem mentalen Zustand, aber ich versuche es. Ich kann aber nicht sagen, dass ich an schlechten Tagen wirklich alles mitfilme. Es gibt Tage, da nehme ich mir vor, einen Vlog zu filmen und auch wenn der Tag dann schlecht wird und alles schief geht, zieh ich das trotzdem durch. Ich habe mir versprochen, dass egal wie der Tag abläuft, ich das dann veröffentliche, weil ich eben auch die Realität zeigen will und nicht nur die schönen Tage. Ich möchte zudem auch ein Safe Space für Menschen sein, denen es ähnlich geht. Ich will zeigen, dass auch ein Mensch, der sich schön anzieht und gern Fotos macht, an Depressionen, OCD und ADS leiden kann. Ich glaube Menschen suchen nach Menschen und nicht nur nach einem schönen Bild.

Was würdest du Leuten mit auf den Weg geben, die mit Social Media beginnen wollen aber sich nicht trauen?

Einfach beginnen! Obwohl, weiß nicht. Man sollte schon auch auf möglichen Hate vorbereitet sein. Aber sonst sage ich immer, wenn man mit etwas beginnen will, sollte man das auch einfach machen. Es gibt sicher Menschen, die die gleichen Interessen haben und die werden dich finden und sich von dir inspirieren lassen. Auch wenn sich vielleicht frühere Schulkolleg*innen darüber aufregen, was du machst und es cringy finden – ich glaube die sagen das einfach, weil sie sich das selbst verbieten. Man sollte sich einfach trauen und den Teil von sich selbst ausleben der einem Spaß macht. Kann ja auch eine weitere Einkommensquelle werden. Cash is king.

Wie würdest du den Impact auf deine Follower*innen beschreiben, die vielleicht ähnliche Probleme haben?

Ich muss sagen, ich schau selbst manchmal meine eigenen Videos, um mich zu erinnern was ich gesagt habe und auch Sachen zum Thema Selbstwert nicht zu vergessen, die ich schon mal erwähnt hab. Vielleicht können User*innen bei mir etwas finden was ihnen hilft und sie weiterbringt. 

©Chantal Peters

Du sprichst viel im Internet über ADS und die Schwierigkeiten, die damit einhergehen. Mit welchen Aspekten von ADS hast du persönlich am meisten zu kämpfen?

Also mit ADS ist auch die Diagnose Zyklothymie dazugekommen. Bei dieser psychischen Störung hast du sehr starke und schnelle Stimmungsschwankungen innerhalb eines Tages. Das kommt auch oft gemeinsam mit ADS. Ich habe vor allem jetzt im Studium große Probleme mit dem Lesen. Das belastet mich sehr, weil ich mich in manchen Momenten „blind“ fühle. Ich sehe was in dem Buch steht, aber ich kann nichts davon verstehen. Ich kann lesen, aber es kommt nicht in meinem Gehirn an. Ich habe aber auch gelernt, viele positive Dinge an ADS zu sehen und eine der besten Sachen ist, dass ich sehr kreativ bin. Ich habe oft nach einem Weg gesucht mich anzupassen. Auch damals in der Schule in Russland habe ich immer Wege gefunden, Schularbeiten zu schreiben, ohne wissen zu müssen, was da steht. Ich kann immer Wege finden, um aus einer Situation herauszukommen. Es gibt glaube ich keine Situation, in der ich sagen kann, dass ich nicht weiß, wie ich das regeln kann.

In den letzten Tagen, an denen wir dich begleitet haben, ist deutlich geworden, wie produktiv und vielbeschäftigt du eigentlich bist. Wie lässt sich ADS mit so einem Leben vereinbaren? 

Ich glaube bei mir ist das eine gute Mischung aus Angststörung und ADS (lacht). Ich habe immer das Bedürfnis was zu machen und ich fühle mich oft so als wäre ich nicht gut genug und als würde ich nicht genug machen. Als ich 18 geworden bin, war das eine der schwersten Zeiten für mich, weil ich da gemerkt habe, dass ich einfach überhaupt nicht meinen Erwartungen entspreche. Mein Leistungsdruck trägt wahrscheinlich dazu bei, dass ich immer was tun muss. Ein Trick, den ich speziell bei ADS anwende, ist einfach das zu tun,wonach man sich gerade fühlt und auch nur das zu tun. Ich habe ab und zu solche Hyperfocus „Anfälle“, bei denen ich 6 Stunden lang meine Ketten machen kann und dabei nichts merke und komplett im Tunnel bin. Ich glaube, dadurch, dass ich immer das mache, was ich liebe, bin ich motiviert. Ich versuche deshalb einfach seit Jahren mein Leben so zu gestalten, dass es nur aus Dingen besteht, die ich liebe. Außerdem plane ich alles. Ich habe 6 Tagebücher und schreibe mir alles bis auf das kleinste Detail auf. Aber das ist eine gute Frage, ich werde mit meiner Therapeutin darüber reden (lacht).

Welche Bereiche (ausgenommen von Uni) fallen dir aufgrund von ADS schwer?

Ich interessiere mich sehr für Finanzen, BWL, Mathe usw. und dann sehe ich Menschen, die in großen Firmen arbeiten und merke, dass ich das nie können werde. Ich könnte nie einen IT-Job ausführen, auch wenn ich weiß, dass ich mich dafür interessiere. Ich kann nicht vor einem Computer sitzen, weil die Ziffern und Zeilen es mir sehr schwer machen würden etwas zu verstehen. Also könnte ich ohne medikamentöse Hilfe niemals in so einem Job arbeiten. Aber wie gesagt, durch Therapie lerne ich damit zu leben, dass ich so bin und es für immer so bleibt. Das heißt ich muss das einfach akzeptieren und einen anderen Job finden, der mir gefällt. 

Du nimmst keine Medikamente für ADS. Würdest du sagen, …

Sorry ich habe gerade ein Blackout. Ich habe kein Wort von dem was du gesagt hast gehört. Ich kann jetzt nicht so tun als hätte ich verstanden was du mich gerade fragen wolltest (lacht).

Hast du vor dein restliches Leben auf Medikamente zu verzichten und einfach nur das zu machen was du machen willst und kannst? Oder überlegst du manchmal, doch Medikamente zu nehmen, um besser funktionieren zu können?

Also ich bin immer wieder am Überlegen. Es gibt Phasen, in denen ich zu meinen Freund*innen sage, dass ich sofort Medikamente brauche und es mir egal ist, was die mit mir machen könnten. Oft kommen diese Gedanken, wenn ich in einer Prüfungsphase bin – im normalen Leben ist das sehr selten. Ich gehöre eher zu den Menschen, die ihr Leben so gestalten, dass sich das Leben an sie anpasst. Ich kann dir aber eigentlich nicht wirklich eine Antwort geben, weil ich noch nie Medikamente probiert habe und da Angst davor habe. Mein Psychiater wollte mir sofort Medikamente verschreiben, aber ich habe sie dann nicht genommen. Ich wollte erst ein paar Therapiestunden machen, um zu schauen, ob es auch ohne funktionieren kann. Ein paar Freund*innen und Bekannte von mir haben auch AD(H)S und nehmen Ritalin oder andere Medikamente, und sie haben mir von Veränderungen an ihrer Persönlichkeit erzählt. Davor habe ich am meisten Angst, also dass ich mich selbst verliere, so wie ich bin. Ich glaube meine Familie und deren Einstellungen haben bestimmt auch dazu beigetragen. Es war nie so, dass man gegen Schulmedizin oder Medikamente war, dennoch wurde immer erst alles andere ausprobiert bevor man z.B. zu Antibiotika gegriffen hat. Ich finde das Wichtigste für andere Menschen mit AD(H)S ist, dass man selbst schaut, was für einen passt. Es gibt nie einen richtigen Weg, sondern nur einen der für dich selbst passt. Vielleicht werde ich irgendwann mal Medikamente nehmen, vielleicht auch nicht. 

Was würdest du Leuten, die frisch die Diagnose ADS bekommen haben, mit auf den Weg geben?

Gerade wenn man das erfährt, kann es sehr schwer sein aber nach einer Zeit wird das Leben viel leichter sein als es je war. Bei mir war das zumindest so. Nach der Diagnose ging es für mich noch weiter runter als davor. Dann aber langsam nach oben, weil man auf fast alle Fragen Antworten findet. Warum kann ich meine Schnürsenkel nicht zubinden? Warum hasse ich Zähneputzen? Wieso kann ich das nicht ohne Youtube Videos machen? Warum kann ich Sachen, die ich lese, oft nicht verstehen? Dass ich meine Diagnose bekommen habe, gehört zu den besten Dingen, die mir im Leben passiert sind und die beste Sache, die ich in meinem Leben gemacht habe, war zur Therapie zu gehen. Ich habe mich noch nie im Leben so gut gefühlt wie jetzt. Das ist ein gutes Ende (lacht).

©Chantal Peters

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